Kamenz, 2. Februar. Mit dem heutigen Tage erfüllt sich ein Zeitraum
von 50 Jahren, seitdem der Herr Stadtrat Emil Oskar Müller hier das
Bürgerecht unserer Stadt besitzt. Dieser Zeitraum schließt ein von
großen Erfolgen und vielen verdienten Ehren gekröntes Leben des
Herrn Jubilars in sich. Sein Wirken in der Oeffentlichkeit war
umfassend, allenthalben ersprießlich und segensreich. Als
Mitbegründer Fachgewerbeschule für Tuchmacher, des
Mobiliarbrandversicherungsvereins, des Spar- und Vorschußvereins
und durch sein langjähriges Wirken als Vorsteher des
Gewerbevereins und Direktor der Braugenossenschaft hier u. a. m.
hat er sich, wie dankbar anerkannt werden muß, große
unvergängliche Verdienste erworben. 30 Jahre lang hat er den
städtischen Körperschaften als Mitglied angehört und durch reiche
Kenntnisse und Erfahrungen den vielseitigen Aufgaben der
Gemeindeverwaltung hochschätzbare Dienste geleistet. Alle diese
Verdienste haben Allerhöchste Anerkennung gefunden durch
Verleihung des Ritterkreuzes 2. Klasse vom Albrechtsorden im Jahre
1902 und des Ritterkreuzes 1. Klasse vom Albrechtsorden im Jahre
1914. Die offizielle Ehrung, die dem Herrn Jubilar zu seinem heutigen
Ehrentage zuteil ward, war deshalb eine außerordentliche und
seltene, weil ihm nicht nur die Glückwünsche der Stadtvertretung zu
diesem Jubiläum, sondern hierbei auch die Eröffnung, daß die
Stadtvertretung ihm das Ehrenbürgerrecht erteilt habe, durch den
Gesamtstadtrat und eine Abordnung des Stadtverordnetenkollegiums
überbracht wurden. Herr Stadtrat Bürgermeister-Stellvertreter Dr. jur.
Siegismund richtete an den Jubilar eine zu Herzen gehende
Ansprache mit ungefähr folgendem Wortlaut: „Hochverehrter Herr
Stadtrat, hochverehrte Anwesende! Am heutigen Tage jährt sich zum
50. Male der Tag, an dem Sie, hochverehrter Herr Stadtrat, einst als
Bürger Ihrer Vaterstadt in Pflicht genommen wurden sind. Wenn wir
auf diese lange Spanne Zeit zurückblicken, die mehr als ein
Menschenalter umfaßt, so möchten wir als ihren Kernspruch das
unsterbliche Dichterwort bezeichnen: „Arbeit ist des Bürgers Zierde“.
Erfolge in segensreicher Arbeit, drinnen im engen Kreise der Familie
und des Berufs, Arbeit aber auch draußen im öffentlichen Leben, in
öffentlichen Aemtern und Stellungen. Und die Anerkennung und
Würdigung vor allem dieser Arbeit ist es, die uns als Abgesandte der
städtischen Vertretungen hierher geführt hat. Wir wollen Ihnen,
hochverehrter Herr Stadtrat, danken für all das Segensreiche, das
Sie in Ihrem langen Leben als Bürger der Stadt Kamenz für Ihre
Vaterstadt gewirkt und geschaffen haben. Ich will nicht im einzelnen
aller Verdienste gedenken, die Sie sich für unsere Stadt erworben
haben; dazu sind die Zweige der Stadtverwaltung und des
öffentlichen Lebens zu vielseitig und mannigfaltig. Nur eines
Gebietes möchte ich bedenken, für das Sie vor allem eine warme,
aufopfernde Teilnahme bewiesen haben, das ist das städtische
Bauwesen einschließlich unsere Wasserversorgung. Gerade auf
diesem Gebiete habe ich persönlich Gelegenheit gehabt, Ihr
vielseitiges Wissen, Ihre rege Anteilnahme und Ihren aufopfernden
Arbeitseifer zu schätzen und zu bewundern. Nicht ohne Rührung
gedenke ich unserer beiden Ortsbesichtigungen an der Roten Mühle
und am Gewerbehäuschen; im ersteren Falle regnete es, was vom
Himmel herunter wollte, die Wiese war naß wie der Schwamm, im
zweiten war Schneegestöber bei weicher Witterung, aller Nässe und
allem Schmutz zum Trotze waren Sie, hochverehrter Herr Stadtrat,
erschienen. Und so ist das in allen Stellungen und Aemtern
gewesen, in die Sie das Vertrauen und die Achtung Ihrer Mitbürger
berufen hat. Gerade die jetzige Kriegszeit hat uns allen eine
erhebliche Mehrbelastung von Sitzungen und Arbeit gebracht, aber
ich glaube, die Beratungen sind an den Fingern einer Hand zu
zählen, in denen unser Jubilar gefehlt hätte. Er war immer auf dem
Posten. Für diese hervorragende Bürgertreue schuldet Ihnen die
Stadt ihren wärmsten herzlichten Dank. Wie könnte sie diesem
Gefühle, dieser Würdigung und Achtung Ihrer Verdienste besseren,
schöneren Ausdruck verleihen als dadurch, daß sie den
treuverdienten Bürger in das goldene Buch der Stadtgeschichte
aufnimmt und ihm einen dauernden, unvergänglichen Platz in dieser
sichert. In dieser Erkenntnis haben deshalb die städtischen
Vertretungen einstimmig beschlossen, Ihnen das Ehrenbürgerrecht
Ihrer Vaterstadt zu verleihen. Ich habe die hohe Ehre Ihnen diese
Erschließung mitzuteilen und Ihnen die Urkunde über die Verleihung
zu überreichen. Mit unserem herzlichsten Dank und mit den
Glückwünschen zum heutigen Tage verbinden wir unseren wärmsten
Wunsch für die Zukunft. Wir wünschen Ihnen, hochverehrter Herr
Stadtrat, daß Sie noch viele, viele Jahre in der bisherigen geistigen
und körperlichen Frische einen gesegneten Lebensabend verbringen
mögen, getragen von der Achtung Ihrer Mitbürger und der Liebe Ihrer
Angehörigen. Und wir bitten, daß Sie wie bisher Ihre reiche
Erfahrung und Ihre unermüdliche Arbeitskraft in den Dienst Ihrer
Vaterstadt stellen mögen. Wir wissen, der Sie Ihr ganzes Leben
gearbeitet haben. Ihnen selbst damit die größte innere Befriedigung
geschieht. Uns aber und der Stadt wird daraus nur reicher Segen
erblühen!“ Der Herr Jubilar, um den auch seine Familie versammelt
war, dankte für diese außerordentliche Ehrung tiefbewegt und
betonte mit der ihm eigenen Bescheidenheit, daß er durch seine
schwache Kraft diese Ehrung nicht verdient habe. Er gab hierbei zu
erkennen, daß er als äußeres Zeichen seiner Dankbarkeit gewillt sei,
eine Stiftung für Arbeiter in der Tuchindustrie hiesiger Stadt zu
errichten. An diese Feierlichkeit schloß sich in der Familie ein
gemeinsames Mittagsmahl, an dem die Vertreter der Stadt
teilnahmen. Auch wir beglückwünschen den verehrten Herrn Jubilar
zu seinem Jubiläum und der hohen Auszeichnung hierdurch aufs
herzlichste! Möge ihm in Gesundheit ein langer, friedlicher
Lebensabend beschieden sein. Die Ehrenbürgerschaftsurkunde hat
folgenden Wortlaut: Herrn Stadtrat Emil Oskar Müller, Ritter 1.
Klasse des Albrechtordens, der über 30 Jahre lang den beiden
städtischen Körperschaften als Mitglied angehörte und während
dieses Zeitraumes allezeit mit großer Treue und in selbstloser
Hingebung sowohl im allgemeinen wie auch im besonderen bei
Verwaltung des städtischen Bauwesens und bei Führung des Amtes
als stellvertretender Bürgermeister seiner Vaterstadt hervorragende
Dienste von bleibendem Wert geleistet, sich dadurch aber vollen
Dank der Bürgerschaft und ihrer Vertretungen erworben hat,
ernennen zu dessen äußerem Ausdruck zu seinem heutigen 50
jährigen Bürgerjubiläum zum Ehrenbürger der Stadt Kamenz. Der
Stadtrat Die Stadtverordneten zu Kamenz, am 2. Februar 1916. Dr.
Siegismund, Stadtrat. Bernh. Rentsch, Stadtv. -Vorsteher.
Quellenangabe: KTB (1916-02-03) Nr. 27 S. 3
Sachbegriffe: 50 jähriges Bürgerrecht; Ernennung: Ehrenbürger